Petersilie – eine Reflexion

Kulinarik ist für mich eine absolute Herzensangelegenheit. Kräuter sind mir wesentlich wichtiger als schöne Blumen, Liebe geht durch den Magen und Food Babys sind die einzigen Babys, die ich gerne mim Arm halte. Deswegen ist es nicht weiter erstaunlich, dass dieser Text über Petersilie in einer automatischen Schreibübung entstanden ist:

Ich und ein Strauß Kerbel.

Petersilie. Diese ewigen Petersilienröschen, die auf alles und jeden Teller ungefragt draufgeschmissen werden. Dabei gibt es doch so viele Kräuter, die auch gut ausschauen. Koriander zum Beispiel. Der sieht der glatten Petersilie sehr ähnlich und bringt Frische in jedes Gericht. Aber viele verabscheuen Koriander abgrundtief.  Hass oder Liebe. Bei Koriander gibt es keinen neutralen Mittelweg, er ist niemandem egal.

Also vielleicht etwas anderes. Thymian?  Thymian schmeckt gut, riecht gut, sieht gut aus. Mit seinen feinen, kleinen Blättchen. Damit kann man doch arbeiten. 

Oder wie wäre es mit Pfefferminze? Ne, Pfefferminze ist die Petersilie des Desserts wird kommentarlos auf Eisbechern, Panna Cottas und Kuchentellern drapiert. Pfefferminze schwimmt auch gerne in so manchem Cocktail mit. Da braucht es sie nicht auch noch bei den herzhaften Speisen. 

Rosmarin? Zu stark. Lorbeer? Nicht dekorativ genug. Basilikum? Die italienische Petersilie. Was wären Pizza, Pasta, Caprese, Bruschetta  ohne ein paar grüne Blättchen Basilikum? Nackt. Oder so scheinen die Köche in sämtlichen Küchen zu denken.

Vielleicht haben sie das aber auch so auf einer Kochmesse ausgehandelt und die Petersilie hat das Rennen gemacht. Oder ein Koch hieß mal Peter und wollte seiner Namensvetterin unter den Kräutern alle Ehre machen und nun haben wir den Salat … äh, die Petersilie.

Herbstluft und der Wettermacher

Vor einigen Wochen bin ich mal wieder in die Heimat gefahren und nach langem, langem Kreativitätstief spürte ich, wie sich die Worte in der klaren Herbstluft wieder in meinen Gedanken formen ließen. Vielleicht lag es an der bekannten Umgebung, die mich mich selbst sein ließ. Vielleicht war es die literarische Prosa von Peter Webers Debütroman Der Wettermacher, den ich in der Zeit ständig mit mir herumgetragen und so viele Stellen markiert habe:

Peter Weber – Der Wettermacher

Zuhause

Zuhause ist, die Stille, die sich einstellt, sobald die Bustüren hinter mir zuzischen.
Zuhause ist, wenn es nicht nur mit meinen Gefühlen auf und ab geht, sondern sich links und rechts Panorama erhebt.
Zuhause ist, wenn ich immer sicher bin, wer ich bin, wo ich bin, auch wenn ich eine falsche Verzweigung erwische.
Zuhause sind mittelalterliche, aufgeräumte Städtchen und Schlösser, Burgen und Ruinen auf Hügelkuppen. Die Geschichte, auch die meine, überall spürbar.
Zuhause ist, wenn jedes Haus, jede Straße, jeder Stein Erinnerungen birgt – an Kindheit, Jugend und Vergänglichkeit. Wenn ich um jede Ecke Gesichter vermute, von Freunden und Gespenster der Reminiszenz.
Zuhause sind Heckspoiler und Jugenderinnerungen an Tanken und Sportplätzen.
Zuhause ist, wenn ich nachts die Sterne sehen kann, den Bach sürpflen höre und die Bergluft bereits unweit erahnen kann.
Zuhause ist Nachtbus fahren.
Zuhause ist Hügel erklimmen, Berge überwinden.
Zuhause ist Sprache, ohne nachzudenken.
Zuhause ist Speise, mit viel Kindheit.
Zuhause ist einfach Sein.

Die letzten schönen Tage in den Bergen genoß ich in guter Gesellschaft in den Bergen.

Autoren-Freu(n)de

Wenn ich raten müsste, wer aus dem Jahrgang meiner Text-Klasse am ehesten einen Roman veröffentlichen würde, so wäre es ohne zu zögern Jim. Naja, hat er auch irgendwie. Ein kleines feines Heft hat er bereits selbst herausgegeben: Hamburg-West Sonntag 18:00 bis 21:15

Hamburg-West Sonntag 18:00 bis 21:15 von Jim Hein Steffen (978-3-7467-6632-4)

Jim fiel mir direkt bei unserer ersten Begegnung auf. Nicht etwa, weil er sich durch auffälliges Verhalten oder ausgefallene Kleidung Nein, Jim fiel mir direkt ins Auge, weil er bei der Aufnahmeprüfung für die Text-Ausbildung, die wir im folgenden Herbst beide besuchen würden, zwei Plätze von mir entfernt sass und las. Ich war direkt fasziniert, wie ich von so vielen Menschen fasziniert bin, die in der Öffentlichkeit lesen. In der U-Bahn versuche ich oft einen Blick auf die Titel der Romane zu erhaschen. Aber in diesem Moment war ich durch den Autor – ich kann mich zwar nicht mehr genau daran erinnern, Hesse, Heine, Hegl? – eingeschüchtert. Bevor ich allerdings etwas sagen konnte, begann der schriftliche Teil der Prüfung und ich musste mir Gedanken zu Faultieren und Adventskalendern für Superreichen machen. Es ist manchmal echt schwer, Familie und Fremden zu erklären, was ich tagtäglich als Werbetexterin so mache.

Frédéric Beigbeders Roman „99 francs“ über die Werbe-Szene der 90er in Paris.

An einen weiteren Moment kann ich mich ebenfalls sehr gut erinnern. Vier oder fünf aus unserer Klasse sitzen im Park Fiction – dem Park mit den Palmen aus Plastik, von dem man eine gute Sicht auf den Hamburger Hafen geniesst – und besprechen 99 francs von Frédéric Beigbeder. Wir sitzen nicht zufällig hier zusammen. Nein, Jim und ich haben einen kleinen Buchclub ins Leben gerufen, mit dem wir Romane lesen, die sich alle irgendwie mit der Werbung befassen. Tatsächlich finden wir auch vier Titel, bevor wir es wieder bleiben lassen. Und so sitzen wir da, mit unserem Flensburger, und beobachten die Frachter im Hafen ankommen und die Sonne hinter dem Horizont untergehen und unterhalten uns über Literatur.

Sogar am Pangea Festival, auf dem wir als Klasse waren, hatte Jim als einziger ein Buch dabei. Nicht mal ich, die ja nun wirklich überallhin einen Roman hinschleppt, hatte eins mit. Naja, er hatte nicht nur ein Buch dabei, sondern auch eine Flasche Spiritus. Und das Batiken liess er sich dann auch nicht nehmen.

Jim hatte als einziger ein Buch am Pangea Festival mit.

Wenn ich also raten müsste, wer aus unserem Jahrgang am ehesten einen Roman veröffentlichen würde, so wäre es ohne zu zögern Jim. Als ich ihn vor einer Woche gebeten habe, sein Büchlein zu schicken, hat er auch keine Sekunde mit der Wimper gezuckt und es lag gestern in meinem Briefkasten. Hamburg-West Sonntag 18:00 bis 21:15 beschreibt einen und alle seine Abendschichten als Foodora-Fahrer auf seinem pinken Fixie. Genauso wie Jim selbst ist auch sein Schreibstil. Etwas zu intellektuell für viele, mit einer guten Beobachtungsgabe und trockenem Humor nimmt er den Leser mit auf eine Tour durch’s abendliche Hamburg und schleicht sich gleichzeitig in jedes Herz. Das Heftchen habe ich unfassbar gern gelesen und ich hoffe, eines Tages einen Roman von Jim Hein Steffen in der Hand zu halten.

Infanzia Ticinese

Vor kurzem bin ich über die Buch-Community auf Instagram zu einer Schreibgruppe gestoßen und ich schätze die Gespräche und konstruktive Kritik sehr. Den ersten Text, den ich zum Thema Kindheitserinnerung verfasst habe, hat mich selbst mal wieder in Nostalgie schwelgen lassen. Passend zum kurzen Essay über meine Erinnerungen an Sommer im Tessin, bin ich auf die Texte, Gedichte und Aquarelle von Hermann Hesse gestoßen.

„Tessin“ von Hermann Hesse

Und hier folgt nun mein eigener, bescheidener Versuch, meine Erinnerungen in Worte zu fassen:

Meine Schwestern und ich sitzen auf den Koffern, bereit für die fünfstündige Zugfahrt in den Süden. Unsere Großeltern sind bereits mit dem Auto vorgefahren. Es ist der Start der Sommerferien, dementsprechend sind die Züge voll. Ab Zürich sitzen wir wieder auf den Koffern im Gang, alles fährt in Süden. Durch die Fenster beobachte ich die übliche Transformation der Landschaft. Das flache Unterland lassen wir schon bald hinter uns, die Erde wirft immer höhere Wellen auf. Zuerst in wallenden Hügeln, zunehmend ersetzt durch schroffere, steilere Felswände. Als wir das erste Mal am Chileli von Wassen vorbeikommen, weiß ich, dass wir bald durchs Gotthard-Massiv fahren werden. Durch die Windungen und Kehrtunnel erhaschen wir davor aber noch unterschiedliche Blicke auf die Kirche. Nach den langen Minuten im Dunkel des Tunnels scheint es, als wären wir direkt in eine andere Welt gereist. Überall stehen die für die Region typischen Steinhäuser, Palmen wachsen, als hätten wir uns nach Italien teleportieren lassen.
Und ob es tatsächlich dieser Sommer, oder vielleicht doch ein, gar zwei Jahre später kann ich nicht mehr mit Gewissheit sagen. Das verschwimmt alles in meiner Erinnerung zu einem einzigen ungefähren Zeitraum meiner Kindheit. Die Tessiner Alpen um uns herum. Die vielen Spaziergänge, um die Esel der Nachbarn zu füttern oder den Bach zu stauen, der im Wald über den Pfad fließt. Das Gleißen des Origlio-Sees, wenn wir einen Ausflug dahin machen, oder die engen Gassen von Gandria nach der Überfahrt über den Lago di Lugano mit der Fähre, begleitet vom kindlichen Genuss eines Eis am Stiel. Dieser Teil meiner Kindheit schmeckt nach Fruchtzwergen, Vitello Tonnato und Polenta, nach selbstgepflückten Feigen und gesammelten und gerösteten Maronen. Er schmeckt auch nach der Elektrizität vor einem Sommergewitter und nach nasser, dampfender Natur nach Regen.
Hier tolle ich herum, falle in Brennnesseln, spiele Ronja Räubertochter. Hier kleckere ich mit Eis, hüpfe mit meinen Geschwistern auf dem Bett zu Manu Chao, lese im Schatten eines Regenschirms und lerne meine ersten italienischen Sätze – Grazie, Prego. Aber hier bin ich vor allem eins: Ich bin Kind.

Why I will never shut up about “The Name of the Wind”

In these weird days, where I often feel cooped up in a cage, unable to travel or visit home or even move freely around the city without feeling guilty, books are my escape. Sometimes you want to travel far far away, at other times you want to feel the cozy feeling of coming home. Patrick Rothfuss’ series “The Kingkiller Chronicles” does it both for me. It is set in a fantasy world, so he takes you far away from reality and yet, it feels like stepping into a familiar story that gives me comfort. I have raved about these books endlessly over the years to whoever would pay attention. I am on my third copy of “The Name of the Wind” (part I of “The Kingkiller Chronicles”) –  because I have lent the other ones to people and have never seen them again – not taking the countless copies I bought as gifts over the years into account. I fall asleep listening to the audiobooks most nights. So yeah, I might be fangirling a little hard, which basically never happens to me, but let me tell you why you should read this series:

„The Name of the Wind“ by Patrick Rothfuss

The prose
I feel, most fantasy authors do not spend that much time on their language. One reason might be that they push out their novels at such mind-boggling speed. But in any case, there are not many fantasy books I would say have a high literary standard and that is fine. I don’t read “A Song of Ice and Fire” for poetic prose, I read it for the fast-paced action and the many dead people after a plot twist.

This is why “The Name of the Wind” ist so special. Every word seems to be picked meticulously, the prose is a work of art – it is simply breathtaking. The first sentence sets the tone for the whole book and already says it all.

“It was night again. The Waystone Inn lay in silence, and it was a silence in three parts.”

The Name of the Wind – Parick Rothfuss

The story
The storyline itself is also a masterpiece. First of all, it’s an ode to stories and storytellers in and of itself. Then, as we delve into it a little deeper it is not the classic story of good against evil and if evil prevails the world will be doomed. Tolkien (I believe, but please do not take my word for it) was one of the first to tell this kind of fantasy storyline in “The Lord of the Rings”. This storyline still appears in novels nowadays but not in “The Name of the Wind”. This is the story of main character Kvothe and his life. It is not an easy life and the storyline in itself has many ups and downs and twists and turns. Also, the novel tackles many issues, such as racism and poverty, especially in context of education.

And of course, there is a love story. But not a cheesy boy-meets-girl-an-they-fall-for-each-other instantly kind of love story. It is delicate and complex, it develops and changes with the rest of the story and is just wonderfully romantic.

The characters
Not only is there a very human main character – Kvothe – but there are quite a few very strong and independent female characters. Denna, the female lead for a start, travels around the country on her own and tries to make ends meet, she is street smart and witty. Then, there are the women, studying at the university, all whip-smart and don’t take any bullshit from anyone. And there is Auri, the girl who lives under the university. She even got a whole novella: “The Slow Regard of Silent Things”.

So, as you can see, there are many reasons to read this book. And if you haven’t done so already: buy it, read it, thank me later!

Flockenfreude

Letzte Nacht hat es geschneit. Ein Phänomen, was mich früher kaltliess (pun intended), während ich in der Schweiz aufwuchs. Ich habe keine Freudensprünge vollführt, im Gegenteil. Musste ich mich jeden Winter mit dem Fahrrad ins Nachbardorf den Weg in die Schule erkämpfen, nur um völlig durchnässt anzukommen. Und auch später sorgten die weißen Flocken selten für Glücksgefühle, legten sie doch die öffentlichen Verkehrsmittel lahm, sobald sie auch nur die Straßen oder Schienen streiften. Und in der Stadt im Flachland – grauer Matsch in nullkommanichts.

Kokon des Wohnzimmers, Berlin

Doch nun, in Berlin, nach drei Wintern in Deutschland, erwarte ich keinen Schnee mehr. Und wenn er doch mal fällt, genieße ich die schönen Seiten daran. Wenn die Flocken vom Himmel fallen, bin ich wie hypnotisiert. Wie sie tanzen, schweben, fallen. Ich könnte minuten-, stundenlang zuschauen.

Beim Spaziergang in den Herzbergen, versuchte ich möglichst, mir da einen Weg durch den Wald zu bahnen, wo möglichst wenig los war. Was nicht ganz einfach ist, wenn man bedenkt, dass wir mitten in Berlin sind. Aber auf dem Friedhof, auf ein paar Nebenwegen, fand ich, wonach ich suchte: Die Stille des Schnees. Diese gedämpfte Stille, die nur eine Schneedecke erzeugen kann. Und mit der Stille das Gefühl, ganz alleine auf dieser Welt zu sein. Nicht das mittlerweile allzu bekannte Gefühl von Einsamkeit sondern vom Alleinsein. Und in dem Moment, als ich die schneidende Luft einatmete und nur noch meinen Atem und weit entfernt ein paar Stimmen hörten, war ich wieder mal so sehr bei mir, wie ich es schon lange nicht mehr war. Einfach nur ganz friedlich ich selbst. Um mich herum fiel Schneestaub von den Bäumen und als gerade ein paar Sonnenstrahlen durch die Äste schien, begannen sie zu funkeln, als fiel Kristallstaub vom Himmel.

Anna Sterns Roman „Schneestill“ im stillen Schnee.

Und genau dieses Gefühl der Stille bei Schnee vermittelt der erste Roman der Schweizer Buchpreisträgerin Anna Stern. Schneestill ist kein perfektes Buch, aber die Atmosphäre des verschneiten Paris ist grandios. Man fühlt sich, als wäre man alleine in einem Wald, der soeben eingeschneit wurde, eine Schneekugel von Paris oder ein gemütlicher Kokon von einem Wohnzimmer, aus dessen Fenster man auf fallenden Schnee schaut. Also das perfekte Buch für diese kalten Wintertage.

Heimat

Dieses seltsame Jahr hat mich mit meiner Herkunft konfrontiert, in unterschiedlichsten Weisen. Im März wurde ich zum ersten Mal von meiner Heimat abgeschottet, die Grenzen wurden dichtgemacht. Das ist ein ganz komisches, beklemmendes Gefühl. Und ich, eingepfercht, wie ich mich in meiner Ein-Zimmer-Wohnung in Horn in Hamburg fühlte, habe auf meinen Fluchtinstinkt gehorcht und mich in die Heimat – die Schweiz – geflüchtet. Ich war also wieder in meinem Elternhaus, nach zwei Jahren Selbständigkeit in Zürich und Hamburg. Ich fühlte mich aufgehoben und frei zugleich, mit viel Platz draußen und der Familie wieder so nah, wie schon lange nicht mehr.

Ich an einem kleinen Bergsee, in der Nähe des Sella Sees auf dem Gotthardpass.

Im Juli fuhr ich in die Berge und merkte, wie sehr mir die Topografie und auch das Wetter im Norden Deutschlands fehlt. Viel zu oft nur dunkelgrau und schläfrig. Schnee und Berge, wie war es möglich, dass ich die beiden Dinge vermissen kann? Ich, die so selten an die Berge dachte und den Schnee im Unterland hasste, da er sich immer direkt in Matsch verwandelt und den öffentlichen Verkehr lahmlegt? Auch verbrachte ich wunderbare, laue Sommerabende mit guten Freunden – ausnahmsweise nicht vor einem Bildschirm, sondern in echt. Wie gut das tat, auch wenn es nicht von Dauer war.

Und nachdem ich Heiligabend alleine in Berlin verbracht habe, kann ich aus voller Überzeugung sagen: Raclette for one ist so ungefähr das Deprimierendste, was es gibt. Zusammen mit einsamen älteren Herren in Edeka Weihnachtsspots, der Aussetzung von Disney’s Capper im Wald und Dumbledores Tod bei Harry Potter.

Ich habe mich aber auch literarisch mit meiner Heimat auseinandergesetzt. Ich habe so viel Schweizer Literatur gelesen, Musik gehört und mich mit unserem Dialekt auseinandergesetzt, wie schon seit langem nicht. Vielleicht braucht es auch den Abstand, um etwas unvoreingenommener auf die eigene Heimat und ihre Eigenheiten blicken zu können. Jedenfalls haben mich vor allem zwei junge Schweizer Autorinnen beeindruckt. Und zwar: Simone Lappert und Anna Stern. Was die Romane alle gemeinsam haben: Es spielt sich Vieles nur im Inneren der Charaktere ab und bedarf deshalb auch gar nicht so viel der Handlung. Vielleicht ist es das, was die Romane so kontemporär wirken lässt – auch wir können aktuell keine weiten Distanzen zurücklegen und setzten uns dieses Jahr wahrscheinlich öfter als gewohnt mit uns selber auseinander.

In ihrem ersten Roman Wurfschatten beschreibt Simone Lappert das Leben von Ada, kurz für Adamine, eine junge Theaterschauspielerin, die von Ängsten oftmals komplett gelähmt ist und die einfachsten Alltagsaufgaben mehr bewältigen kann. Als Juri, der Enkel ihres Vermieters, in ihr Leben und in ihre Wohnung tritt, versucht sie ihn zu Beginn mit aller Kraft auf direktestem Weg wieder aus ihrer Wohnung zu vertreiben. Auch er ist emotional etwas angeschlagen und so finden die beiden nach und nach Trost beieinander.
Mit wunderschöner Prosa beschreibt Simone Lappert, das Leben mit Angstzuständen und wie zwei psychisch verletzte Menschen versuchen können, sich gegenseitig zu heilen, wenn nur das Vertrauen zueinander erstmal geschaffen ist.

Ein Stapel Bücher, aufgenommen im Passfoto-Automaten vor dem Helsinki, Zürich.

Die Gewinnerin des diesjährigen Schweizer Buchpreises, Anna Stern erzählt in ihrem preisgekrönten Werk das alles hier, jetzt von einer jungen Clique, die ihre Freundin Ananke verloren haben und um sie trauern – jede*r auf ihre/seine Weise. Abwechselnd werden dem Leser Kindheitserinnerungen und Tagesaktuelles vor Augen geführt, bis sich die die Clique dazu entscheidet einen Roadtrip zu unternehmen.
Gekonnt lässt die Autorin den Leser die Melancholie der Trauer und die Nostalgie der Kindertage dieses Freundeskreises spüren.

Ich bin patriotisch,
d Schwiiz isch mer heilig,
gnau so wie sMami für sChind.

Sophie Hunger auf dem Track „Putsch“

Passend zur allgemeinen Stimmung haben Dino Brandão, Faber und Sophie Hunger ein wunderbares Album über die Liebe herausgegeben: Ich Liebe Dich. Ich glaube, es ist nicht vermessen zu behaupten, dass sich alle mehr Nähe, mehr Liebe wünschen oder gewünscht haben dieses Jahr. Auch hier bedarf die Musik nicht der ausgefallensten Instrumentals, sondern konzentriert sich auf die drei Stimmen und wenig mehr. Was mich, abgesehen von der unglaublichen Emotionalität, die jeder einzelne Song ausstrahlt, am meisten beeindruckt, sind die smarten Texte in Dialekt. Davon inspiriert, habe ich versucht etwas über Heimat zu schreiben im Dialekt.

Heimat
Nüme det und nani da.
Abgreist und nani acho.
Es Zwüscheduredingsda.

Rastlos dini Füess, immer in Bewegig.
Rastlos dini Gedanke, ohni Wurzle.
Rastlos din Blick, ständig schweift er ab.

Bisch nonig aacho?
Ischs nur naml e Station?
Wie en Zugvogel uf de Reis in Süde?

Rastlos dini Füess, immer in Bewegig.
Rastlos dini Gedanke, ohni Wurzle.
Rastlos din Blick, ständig schweift er ab.

Wiiter vorwärts oder doch wider zrugg?
Was mol dis Dihei gsi isch hät sich i dinere Abweseheit veränderet.
Es isch nüm de Ort, wod mol kännt häsch.
Es sind nüm dLüüt, wod mit ne uufgwachse bisch.

Und s neue Dihei fühlt sich nani richtig aa,
als wärs e Nummere zgross für dich,
und du nani ganz driigwachse.

Nüme det und nani da.
Abgreist und nani acho.
SLäbe als Zwüscheduredingsda.
Wänn simmer ändli da?

Das Baskenland – Eine Reflexion

Wie ich hier bereits erwähnt habe, liebe ich Frankreich – etwas konkreter das Baskenland. Ich habe mehrere Monate in Biarritz verbracht, habe die Sprache zu gelernt, schloss Freundschaften, habe die Region erkundet und habe mich so sehr in diesen Ort verliebt. Weil hier gibt es alles was das Herz begehrt: das Meer, die Berge, unglaublich gutes Essen, spannende Geschichte, kleine Dörfer, alte Traditionen und eine Sprache, die Linguisten vor ein Rätsel stellt.

In den Vorläufern der Pyrenäen

Deshalb wusste ich von Anfang an, dass ich über einen Roman schreiben wollte, der hier spielt und habe mich auf die Suche nach Literatur gemacht, die im Baskenland spielt. Und ich wurde fündig: Patria von Fernando Aramburu hat mich direkt von der ersten Seite gefesselt und ich wurde in die dramatische Geschichte hineingesogen. Denn das Baskenland hat eine düstere Vergangenheit, die gar nicht so weit zurückliegt. Der Roman spielt in einem Dorf, unweit von San Sebastián im spanischen Baskenland. Aramburu zeigt in seinem Roman anhand zweier Familien, wie eine Entscheidung alles zerstören kann. Als der älteste Sohn der einen Familie dem bewaffneten Kampf der ETA beitritt und der Vater der anderen von derselben Organisation erpresst wird, beginnt alles auseinander zu fallen. In wunderbarer Prosa beschreibt Aramburu das Leid und die Zerstörung, die der Terrorismus nach sich zieht und wie lange es dauert, wieder zueinander zu finden, nachdem man ein solch großes Trauma erlebt hat.

Und obwohl ich in meiner Zeit in Biarritz viel über die baskische Geschichte gelernt habe (ich habe die “Grottes de Sare” besucht, kenne die Legende von Roland und der Schlacht um Roncesvalles und weiss, dass der “Grand Palais” in Biarritz ein Geschenk von Napoleon an Josephine war) aber nie hat jemand die ETA auch nur mit einem Wort erwähnt. Deshalb dachte ich mir, ich sollte mir Infos aus erster Hand besorgen und fragte meinen Freund Iñigo, der in San Sebastián aufgewachsen ist und nach wie vor dort lebt. Ich habe eine wunderbare Erinnerung an einen wunderbar lauen Sommerabend, an dem Iñigo eine Bartour durch San Sé anführte und uns die besten Orte für Pintxos (baskische Tapas), Wein, Bier und Cider zeigte und wir einfach geniessen konnten. Hier ist also das Interview mit Iñigo, der sich zu meinem Glück bereit erklärt hat einige Fragen zu beantworten und mir und euch ein paar Hintergrundinformationen zu “Patria” geliefert hat: 

Pintxos in San Sebastián

Was bedeutet es für dich, Baske zu sein? 
Basken sind ein Volk, das seit Jahrtausenden zwischen Spanien und Frankreich lebt. Die meisten davon in Aquitanien (Südfrankreich) und die Pyrenäen bilden den Knotenpunkt der Region. Historisch gesehen, kann man sagen, dass es das baskische Volk geschafft hat, seine Essenz zu bewahren, trotz Beziehungen und Austausch mit anderen Kulturen und Regierungen, wie den Römern, Napoleon oder Franco. Wir sind ein stolzes Volk – stolz auf unsere unglaublich alte Sprache und unsere Traditionen.

Wie würdest du jemandem das Baskenland beschreiben, der noch nie dort war? 
Das Baskenland ist eine wunderschöne Gegend mit zauberhaften Stränden, majestätischen Bergen und kleinen, traditionellen Dörfern. Aber es gibt auch modernes, urbanes Leben, in Bilbao zum Beispiel.

Was macht das Baskenland so außergewöhnlich?
Ich glaube, es ist die Stimmung, die Traditionen und die Gastronomie, die das Baskenland so außergewöhnlich machen.

Wenn du nur eine einzige Aktivität im Baskenland empfehlen könntest, was wäre diese?
San Sebastián ist das Kronjuwel, ohne Zweifel. Die Stadt ist wunderschön, aber das ist noch nicht alles. San Sé ist die Stadt mit den meisten Michelin Sternen per Quadratmeter, aber auch das ist noch nicht alles. Ich glaube, was die Stadt so einzigartig macht ist die Atmosphäre der Pintxos, der “sidrerias” und die traditionellen Sportarten (“traineras”, eine Art des Ruderns; Pelota, eine baskische Ballsportart, etc.).

Bist du jemals mit der ETA in Berührung gekommen, als du noch ein Kind warst? Ist es noch ein aktuelles Thema?
Ich habe viele schlechte Erinnerungen. Ich erinnere mich, wie ich mit zehn Jahren zu Hause saß und aß. Plötzlich ein lauter Knall. Einige Minuten später bestätigten die Fernsehnachrichten, dass unweit von zu Hause eine Bombe hochgegangen ist und ein Mann getroffen wurde. Es stellte sich später heraus, dass es ein Freund meiner Mutter war und er seine beiden Beine bei der Explosion verlor.

In der Schule hielten wir jedes Mal, wenn es ein weiteres Attentat gab, eine Schweigeminute.

Es ist so schade, dass viele Leute diese Terrorakte verteidigten und rechtfertigten, nur damit das Baskenland unabhängig werden könnte.

Was wünschst du dir für deine kleine Tochter und die Zukunft im allgemeinen?
Ich wünsche mir, dass sie glücklich ist und ein erfülltes Leben hat – wie alle Eltern wahrscheinlich. Ich bin froh, dass sie an einem Ort aufwachsen kann, an dem Frieden herrscht und sie alle Freiheiten hat, die sie sich nur wünschen könnte.

Du meintest in einem früheren Gespräch, jeder Baske sollte “Patria” lesen. Warum?
Ja, natürlich. Für alle diejenigen, die die Zeiten des ETA-Terrors erlebt haben, ist es ein guter Reminder, was nie wieder passieren darf und wie unsinnig das alles war. Und für die jungen Leute ist es ein guter Weg, zu lernen, was vor nicht allzu langer Zeit in ihrem Land passiert ist. Dieses Buch ist perfekt, um die Erinnerungen am Leben zu erhalten und die wir niemals vergessen dürfen.

Und ich glaube, der letzte Satz ist der perfekte Schlusssatz für diesen Blogpost! Danke nochmals, Iñigo, für diese offenen, ehrlichen Antworten über dein Heimatland.

The Basque Country – An introspection

As I’ve mentioned on here before, I adore France – more concretely the Basque country. I’ve spent multiple months in Biarritz, learning the language, making friends, exploring the region and falling in love with this place. It’s got it all: the seaside, the mountains, great food, fascinating history, small villages, old traditions and a language that poses a riddle for linguists.

St. Jean-de-Luz, FR

So, I knew from the start that I wanted to cover a book set in this place and went on a hunt for literature set in the Basque country. I found Homeland by Fernando Aramburu and from the first page, I was sucked into this dramatic (hi)story. Because the Basque country has a dark past, that sadly is not so far in the past as one might think. The novel takes place in a small town close to San Sebastián in Spanish Basque country. It’s about two families and how decisions can destroy everything. The eldest son of one of the families joins the armed combat of ETA and the father of the other family is being blackmailed, everything slowly starts to crumble. In wonderful prose Aramburu tells the suffering and destruction follows terrorism and how it can take decades to slowly finding to each other after trauma as big as this.

And even though I had learned about parts of Basque history (I visited the Grottes de Sare, knew about the legend of Roland and the battle of Roncesvalles or that the Grand Palais in Biarritz was a gift from Napoleon to Josephine) but no one had ever mentioned ETA. So, I thought I’d hit up my friend Iñigo, born and bred in San Sebastián. I have very fond memories of an evening of a bar tour through San Sé which he led. We had yummy pintxos (tapas in Basque), lots of wine, beer and cider and a lot of fun. So here’s the interview with Iñigo, which he thankfully did with me and which gave me some new perspectives on the Basque country and the novel:

What does it mean to you to be Basque?
Basques are a people who have lived between Spain and France way before these countries even existed. Most of them in Aquitaine (Southern France) and the Pyrenees form the junction point. Historically, you can say that this people managed to maintain its essence, even with exchanges and relations with other cultures like the Romans, Nopoleon, Franco, etc. We are a proud people – proud of our ancient language and our customs.

How would you describe the Basque country to someone who’s never been?
Basque country is a beautiful place with magnificent beaches, beautiful mountains and small traditional towns. But you can also get some modernity in Bilbao for example.

What makes the Basque country so special?
I think it’s the general ambiance, the customs and the gastronomy that makes the Basque country so special.

If you could only recommend doing one thing in Basque country, what would it be?
San Sebastián is the crown jewel without a doubt. The town is beautiful, but that’s not all there is. It’s the city with the most Michelin stars per square metres in the world, but that’s not all there is either. I think what makes it really special is the atmosphere of pintxos, the atmosphere of a cider house, going to see the traditional sports (traineras, a kind of rowing; Basque pelota, a ball sport etc.)

Have you ever been in afflicted by ETA in any way when you were a kid? Is it still a current topic?
I’ve got a lot of bad memories. I remember being ten years old and I was eating lunch at home and suddenly there was a loud noise. A couple of minutes later the tv news confirmed that a bomb had gone off and the man who had been hit, was a good friend of my mother’s and he’d lost two legs.

At school, we’d have a minute of silence every time there was an assassination.

It’s too bad that there were so many people who defended these acts of terrorism to obtain the independence for the Basque country.

What do you wish for your young daughter and the future in general?
I wish that she’s happy and that she has a full life. Like every parent, I guess. I am very happy that she will grow up in a region that is now at peace with all the liberties she could wish for.

You told me, every Basque should read “Homeland”. Why is that?
Yeah, of course. For everyone who has lived through the ETA terrorism, it’s a good reminder to what should never happen again and what nonsense it was at the time. For the young people it’s a good way to learn about what has happened here, not very long ago. This book is a great way to keep the memory alive and we must never forget.

A postcard, depicting the traditional sport of Basque pelota

And I think that last sentence is the perfect way to wrap up this blogpost! And thanks again, Iñigo, for the very open and honest words about your home country.

Buchhändler*innen meines Vertrauens – Teil II

Schnack am Sonntag mit Yasemin H.

Es ist Sonntag, früher Abend im Spätherbst. Draußen hat sich die Dunkelheit bereits über die Stadt gelegt. Nach einigen vergeblichen Versuchen meinerseits, die Kamera zum Laufen zu bringen und einem Neustart des altersschwachen Laptops, klappt’s dann doch mit der Skype-Verbindung mit Yasemin. Auch sie kenne ich noch aus meiner Zeit beim Bookshop und obwohl wir uns seit einigen Jahren nicht mehr gesehen haben, fällt es uns nicht schwer, ins Gespräch einzusteigen. Und abgesehen von ein paar Lücken im Lebenslauf (ich von Zürich über Hamburg nach Berlin gezogen und sie nicht mehr Berufsschullehrerin) ist es, als hätten wir das letzte Mal erst gestern oder letzte Woche gesprochen. 

Yasemine H. vom Buch am Platz

Sie erzählt mir von ihrer Buchhandlung in Winterthur, dem Buch am Platz, die sie zusammen mit ihrer Geschäftspartnerin Tanja Bhend 2016 übernommen hat. Die Buchhandlung habe ich kurz nach ihrer Übernahme besucht. Sie geht direkt auf einen schönen Platz hinaus, wie es sie in der Altstadt viele gibt, und lädt trotz kleiner Fläche zum Verweilen ein. Die beiden sind Buchhändlerinnen aus Leidenschaft – und das merkt man. Die Pandemie die draußen vor den Fenstern wütet tat ihrem Geschäft aber nichts zur Sache. Im Gegenteil, die Leute scheinen wieder zurück zum Buch als Medium zu finden. Netflix ist ja dann doch irgendwann ausgeschaut. Wir sprechen auch über die Buchhandlung meiner Tante, über die Berufsschule der Buchhändler, über Buchblogs und natürlich auch über Bücher.

Als Yasemin aufsteht, um einen Roman auszuwählen, den sie vorstellen kann – natürlich nicht ohne zu betonen, wie schwierig es ist, sich auf einen Titel beschränken zu müssen – habe ich Zeit, neidisch auf ihr Bücherregal zu starren, das vom Boden bis zur Decke reicht. Sie zieht These Women von Ivy Pochoda aus dem Regal, nach dem sie sich bei mir vergewissert hat, das auch englische Titel in Frage kommen. Das Rotlicht-Viertel in L.A. ist der Schauplatz dieses literarisch geschriebenen Thrillers. Mit viel Einfühlungsvermögen schildert Pochada das Treiben eines Serienmörders aus Sicht unterschiedlicher Frauen, die mit dem Fall in Berührung kommen – die junge Polizisten, die sich dem Fall annimmt, die Mutter eines Opfers, die Frau des Mörders. Sehr sensibel wird aufgezeigt, wie unsichtbar insbesondere die Frauen am Rande der Gesellschaft auch heute noch sind.

Wein am Wochenende mit Andrea K.

Natürlich klappt die Zoom-Verbindung mit meiner Tante am Samstagabend nicht sofort – das tut sie doch nie. Aber irgendwie schaffen wir es dann doch, dass zumindest der Ton und mein Bild funktioniert. Wir haben uns schon einige Monate nicht mehr gesehen und tauschen uns darüber aus, was so geschehen ist in der Zwischenzeit. Auch mein Onkel schaltet sich zwischendurch aus dem Hintergrund ein.

Meine Tante Andrea ist, seit ich mich erinnern kann Buchhändlerin. Sie ist eine der wenigen Personen, die sich noch traut, mir Bücher zu schenken (als könnte man doppelt gekaufte Bücher nicht umtauschen). Schon von klein auf hat sie meine Lektüre beeinflusst. Ich erinnere mich noch ganz genau, wie sie mir das erste Mal von diesem Jungen erzählte, der unter der Treppe wohnt und der einen Brief für eine Zauberschule bekommt. Regener, Grjasnowa, Bulgakow, Lappert, Rowling, Yanagihara – nur um einige Autorinnen und Autoren zu nennen, die ich dank ihr entdeckt habe.

Meine Tante, Andrea K. vom Doppelpunkt, empfiehlt den Titel von Ocean Vuong

Seit 2016 betreibt sie ihre eigene Buchhandlung, den Doppelpunkt in Uster, gemeinsam mit ihrer Partnerin Barbara Maurer. Und letztes Jahr hat sich die Arbeit bezahlt gemacht: Der Doppelpunkt wurde zur Schweizer Buchhandlung des Jahres 2019 gewählt. Auch die Pandemie kann ihnen nichts anhaben. Die kleinen Buchhandlungen sind die einzigen Gewinner in der Kulturlandschaft. Andrea meint dazu nur: Das darf man ja fast nicht sagen. Aber das Geschäft läuft so gut, wie lange nicht mehr. Und ist das nicht eine schöne Abwechslung zu hören, dass es wenigstens in einer kulturellen Branche den kleinen, feinen gut geht? Oder noch simpler: Ist es nicht einfach eine schöne Abwechslung, positive Nachrichten zu hören? Ich persönlich freue mich unglaublich für Andrea, Yasemin und alle anderen Betreiber*innen kleiner, unabhängiger Buchhandlungen, die aktuell viel zu tun haben. Zu oft waren sie diejenigen, die in den letzten 20 Jahren nicht mit den großen mithalten konnten. Die Leute wollen aus ihren vier Wänden ausbrechen und in andere Welten, andere Leben eintauchen. Netflix und Co. bieten nicht diese komplette Immersion in eine Geschichte, wie es Bücher tun.

Eine solche Geschichte ist die von Ocean Vuong, die mir Andrea vorstellt. Auf Erden sind wir kurz grandios heißt der Titel und es ist ein sehr autobiographisches Werk des ursprünglichen Lyrikers. Andrea betont, dass sie den Roman gewählt hat, da er für sie für eine Art der Literatur steht, den sie unglaublich gerne mag. Eine Geschichte, in die man so komplett eintaucht, die einem so fremd ist und man sie trotzdem versteht und erkennt, wie viele Parallelwelten es eigentlich gibt.
In diesem Roman Vuong schreibt seiner Mutter einen Brief, in dem er relativ objektiv von seinem Trauma, von diesem Gefühl berichtet, dass er wiederum durch das Trauma seiner Mutter und seiner Großmutter, die während dem Vietnamkrieg in die USA ausgewandert ist, in sich trägt. 

My booksellers of confidence – pt. II

Summaries on Sundays with Yasemin H.

It’s early evening on a Sunday in late fall. Outside, darkness has already fallen over the city. After a couple of failed tries and a new start of my elderly laptop, I manage to start my camera and get a Skype connection to Yasemin. I know her from my time at the bookshop and even though we haven’t seen each other for years, it feels easy to get the conversation started. Apart from a couple of blind spots on our respective CVs (I moved from Zurich to Hamburg to Berlin and she quit teaching as a vocational school teacher) it feels as if we’d just spoken to each other yesterday or last week.

She tells me about her bookshop in Winterthur, the Buch am Platz, she’s taken over with her business partner Tanja Bhend in 2016. I visited the bookshop shortly after the opening. It’s entry lies on a beautiful square in the old town and even though it is tiny it feels very warm and welcoming. The two are booksellers out of passion and you can feel it. The pandemic that is raging outside our windows didn’t diminish their business. On the contrary, people seem to be circling back on the medium that is the book. We also speak about my aunt’s bookshop, vocational school for booksellers, book blogs and last but certainly not least: books.

Hard at work at the English Bookshop circa 2015. From right to left: Jesper R., Yasemin H. and me.

As Yasemin gets up to pick which novel she’ll recommend – not without emphasizing how hard it is to pick only one single title – I have time to enviously scan her book shelf that reaches from floor to ceiling. She pulls These Women by Ivy Pochada from the shelf and starts telling about it. The redlight district in L.A. sets the stage for this poetically written thriller. With a lot of empathy, Pochada tells the story of a serial killer from the perspective of different women touched by this case – the young police woman, who tries to solve the case, the mother of a victim, the wife of the murderer. In a very sensitive way, this novel shows how invisible especially women are, when they live on the margins of society, even today.

Wine on weekends with Andrea K.

Of course, the Zoom connection with my aunt does not work right away – but it never does, does it? Somehow, we get the sound and my camera working. We haven’t seen each other in a couple of months and catch up first. My uncle also injects himself into our conversation from time to time. 

My aunt Andrea has been a bookseller since I can remember. She is one of the only people who still dare to gift me books (like I couldn’t return them, in case I already own or read them). From a very young age, she’s influenced my reading. I still remember the first time she told me about this weird boy, living under the staircase who gets an invitation to a magic school. Regener, Grjasnowa, Bulgakow, Lappert, Rowling, Yanagihara are just a few authors she made me discover over the years.

My aunt, Andrea K. from Doppelpunkt, with her recommendation.

Since 2016 she owns her own bookshop with her business partner Barbara Maurer: The Doppelpunkt in Uster. Last year the hard work paid off, they won the title of Best Swiss Bookshop in 2019. Also, the pandemic does not seem to affect business. On the contrary, small independent bookshops seem to be the only ones winning in the cultural field at the moment. Andrea says: I’m almost afraid to saying this out loud. But business is thriving, as it hasn’t been in a long time. Isn’t it nice to hear that at least someone is doing well in the culture sector for once? Or to hear some positive news in general? I, personally, am so happy for Andrea, Yasemin and other shop owners of small independent bookstores. They’ve been the losers in the past 20 years way too often, due to the big bad companies, I will not name here. People need an escape from their realities and want to dive into other worlds, other lives. Netflix and co. simply do not offer the same complete immersion into a story, as books do.

One such story is by Ocean Vuong, which Andrea recommends. On Earth We Are Briefly Gorgeous is the title of an autobiographical work by the former lyricist. Andrea insists that she chose this novel as a representative of a type of literature that she very much enjoys. A story to delve into completely, so strange and far away from our lives and yet understandable, that makes us realise how many parallel worlds there actually are on our planet.
Vuong writes a letter to his mother, rather objectively, recounting his life experience and his trauma, which stems from his mother’s and his grandmother’s trauma, who emigrated to the US during the Vietnam war in a very lyrical prose.

Why Poland hits so close to home

This blog post will not be about a book. It’s very personal, and I believe it’s essential. I have been uneasy and jittery all day. Frankly, I am quite hesitant to post this, as it will undoubtedly expose me to judgment, critique, and maybe even hate. Moreover, this topic is rarely discussed openly: Today, I will write about abortion. 

Because in Poland, abortion laws have become even stricter than they’ve already been. Abortion used to be illegal, except in rape or incest cases, when the woman’s life or health is in jeopardy, or the fetus is irreparably damaged. The latter is now also illegal. This means, if a woman is pregnant with an irreversibly malformed child (which cannot live without pain or live period), she has to carry it to full term and give birth to the baby, knowing full well it will not be able to live.

Also, let’s not forget that Amy Coney Barrett just got appointed Supreme Court Judge in the US. She’s against abortion! Moreover, Barrett has voted in favor of making the law stricter in two cases as a judge already. She is one of six conservative judges out of nine in total. So, a real possibility exists that the US might take a massive step backward concerning women’s rights.

How is it that in 2020 old white men still get to dictate a woman’s body? For those of you now saying, “But Amy Coney Barrett is a woman!”: Yeah, guess who appointed her. Correct, that old white man in the White House did. The choice over her body should be the woman’s alone to make. She is the only one suffering the real consequences in the end. It always takes two for an unwanted pregnancy, yet the only person affected by abortion laws are women.  Pregnancy or the termination of said pregnancy affects no one except her – maybe her (sex/life) partner psychologically but never on the same level as her.

Furthermore, making it illegal will not make abortions go away. As with most illegal things, it will just happen in the dark. It forces women to use life-threatening ways and to go to dangerous places. Over and above, this means taking a significant step back to medieval times, where pregnancy termination has first declared a crime. A little reminder: That was also the time when people thought the earth was flat and literally threw their shit out the window.

So, before we delve further into my very personal rendering, I’d like to say, I’ve always been pro-choice. I’ve never thought it’s anybody’s business to judge a woman for keeping or not keeping an unwanted baby because one’s never been in her shoes, and one could never know the full story behind that decision. And I still believe this is true. 

And yes, I’ve had an abortion, and it was a decision I was able to make independently. I don’t want to imagine what my life would’ve looked like if I would’ve been forced to keep the unwanted child. I was 24, living my life as a language student in France, going out, partying. And then it happened — one stupid, drunken mistake. I couldn’t afford a child. I didn’t want a baby, certainly not with this French dude I’d just met a couple of weeks ago.

The decision was easy for me. There would be no child. Fortunately, I know it was easy enough for me because other women struggle through such a situation way more emotional than I did. And even today, I don’t regret a thing. I don’t want to picture my unhappy life as a single mum. Living with my parents because I couldn’t make ends meet. Working a shitty part-time job and looking after a 3,5-year-old toddler. I would’ve been miserable, probably even depressed. The mental health of the mother is rarely discussed in this debate, I find. I would’ve never followed my dream of working creatively. I would’ve never moved out of my little village, let alone out of Switzerland. Not that I judge anybody for their choice of doing exactly that. But that’s their choice. And my choice was mine to make.

Usually, I only tell people very near and dear. Or because the topic of abortion somehow pops up, and I feel I’m in a safe space, where people will accept different opinions. Because, yes, there are still way too many people who judge harshly, even though they’ve never been and might never be in this same situation.

But I believe it’s time for me to speak up and speak up loudly, so everyone can hear. This taboo needs to be broken and discussed more openly. I was lucky enough to have been able to choose, to have had access to the necessary health care, to have had no complications (physically and mentally), and to have had friends and family by my side. But what about all these other women who didn’t get to choose? The women who are forced to keep their unwanted babies? Who are forced to keep reminders of rape or severely disabled babies? 

So, repeat after me: A woman’s body is hers and hers alone! It is her decision what she does with said body, and she owes no one any explanations!

Warum mir Polen unter die Haut geht

In diesem Blogpost wird es ausnahmsweise nicht um ein Buch gehen. Er ist sehr persönlich und ich glaube das er immens wichtig ist. Ich war die letzten Tage unglaublich unruhig und nervös, mit einem Knoten im Magen. Ehrlicherweise bin ich etwas zögerlich, diesen Post überhaupt zu veröffentlichen, weil ich weiß, dass er mich wahrscheinlich Kritik und möglicherweise sogar Hass aussetzen kann. Zudem wird das Thema noch viel zu selten offen diskutiert: Heute schreibe ich über Abtreibung.

In Polen wurden kürzlich die Abtreibungsgesetze noch strenger gemacht, als sie es sowieso schon waren. Abtreibungen waren bisher illegal, außer bei Fällen von Vergewaltigung, Inzest, Gefährdung der Gesundheit der Frau und bei schwerer Schädigung des Embryos. Letzteres ist nun ebenfalls verboten. Dies bedeutet, dass eine Frau mit dem Wissen das Kind austragen und gebären muss, dass es schwer geschädigt zur Welt kommen und nicht oder nur unter großen Schmerzen leben wird. 

Und vergessen wir nicht, dass Amy Coney Barrett soeben als Supreme Court Judge in den USA ernannt wurde. Sie ist ebenfalls gegen Abtreibung und hat bereits zweifach als Richterin für striktere Gesetze gestimmt. Sie ist nun eine von sechs konservativen gegenüber drei liberalen Richtern. Dementsprechend steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die USA in Sachen Frauenrecht einen massiven Schritt rückwärts machen wird in Zukunft.

Wie kann es sein, dass in 2020 nach wie vor alte weiße Männer über den Körper der Frau bestimmen können? Und für die, die jetzt sagen: “Aber Amy Coney Barrett ist eine Frau!”: Ja, rate mal wer sie ernannt hat. Korrekt, der alte weiße Mann aus dem Weißen Haus. Die Entscheidung über ihren Körper sollte die Frau alleine treffen dürfen. Sie ist die einzige, die wirklich mit den Konsequenzen leben muss. Es braucht immer zwei für eine ungewollte Schwangerschaft und doch ist die einzig betroffene Person bei einer Abtreibung – und dementsprechend auch bei Abtreibungsgesetzen – alleine die Frau. Eine Schwangerschaft oder deren Abbruch tangiert niemanden außer sie – und vielleicht ihren (Sex-/Lebens-) Partner auf einem psychologischen Level, aber niemals so stark wie sie.

Des weiteren werden Abtreibungen nicht verschwinden nur weil sie verboten werden. Wie mit den meisten verbotenen Dingen, werden sie im Dunkeln weiter existieren. Dies zwingt Frauen, lebensgefährliche Methoden an unsicheren Orten anzuwenden. Darüber hinaus bedeutet dies einen Rückschritt ins Mittelalter, wo Schwangerschaftsabbrüche zum ersten Mal zu einem Verbrechen erklärt wurden. Ein kleiner Reminder: Das war auch die Zeit, in der Leute geglaubt haben, die Erde sei flach und in der sie wortwörtlich ihren Scheiß zum Fenster rausgeschmissen haben.

Bevor wir nun also in meine ganz persönliche Geschichte eintauchen, möchte ich sagen, dass ich schon immer pro-choice war. Ich wollte mir niemals anmaßen über eine Frau zu urteilen, weil sie das Kind einer ungewollten Schwangerschaft behalten oder nicht behalten hat. Wie kann man sich auch eine Meinung bilden, ohne jemals in der Situation gewesen zu sein, ohne die gesamte Geschichte dieser Entscheidung zu kennen. Und ich denke nach wie vor genauso darüber.

Denn ja, ich habe eine Abtreibung hinter mir und es war meine alleinige Entscheidung. Ich möchte nicht wissen, wie mein Leben aussehen würde, wenn ich das Kind hätte behalten müssen. Ich war 24, habe mein Studentenleben in Frankreich genossen, bin feiern gegangen. Und dann ist es passiert – ein dummer, betrunkener Fehler. Ich konnte mir kein Kind leisten. Ich wollte kein Baby, schon gar nicht mit diesem Franzosen, den ich erst vor ein paar Wochen kennengelernt hatte. 

Die Entscheidung fiel mir leicht. Es würde kein Kind geben. Glücklicherweise war es verhältnismäßig einfach für mich – ich weiß von anderen Frauen, die in derselben Situation wesentlich mehr mit sich und ihren Emotionen zu kämpfen hatten als ich. Auch heute bereue ich nichts. Ich möchte mir mein unglückliches Leben als alleinerziehende Mutter gar nicht erst vorstellen. Ich hätte wieder bei meinen Eltern einziehen müssen, da ich es mir nicht hätte leisten können, alleine zu wohnen. Ich würde heute einem schlecht bezahlten Teilzeitjob nachgehen und mich die restliche Zeit um ein 3,5-jähriges Kleinkind kümmern müssen. Ich wäre unglücklich gewesen, wahrscheinlich sogar depressiv. Über die psychische Gesundheit der Mutter wird übrigens sehr selten bei der Diskussion um Schwangerschaftsabbrüche geredet, finde ich. Ich wäre nie meinem Traum vom kreativen Arbeiten nachgegangen. Ich hätte nie mein kleines Kaff verlassen, geschweige denn die Schweiz. Nicht dass ich jemanden verurteilen will, der genau diesen Weg für sich gewählt hat. Aber das ist ihre Entscheidung. Und meine Entscheidung war meine zu treffen.

Normalerweise rede ich nur mit meinen Nächsten über dieses Thema. Oder wenn das Thema in einer Diskussion aufkommt und ich mich in einem sicheren Raum fühle, in dem mein Gegenüber offen ein Gespräch. Denn ja, es gibt nach wie vor viel zu viele Leute, die sehr hart über andere urteilen, obwohl sie vielleicht noch nie in deren Situation waren.

Aber ich glaube, der Zeitpunkt ist gekommen, um zu reden. Klar und deutlich, damit alle mich hören. Dieses Tabu muss gebrochen und über das Thema muss öffentlich gesprochen werden. Ich hatte das Glück, meine Entscheidung selbständig treffen zu dürfen, die nötige Gesundheitswesen vor Ort zu haben, keine Komplikationen zu haben (weder physisch noch psychisch) und ich hatte meine Freunde und Familie an meiner Seite. Aber was ist mit all den Frauen, die nicht für sich entscheiden dürfen? Die Frauen, die gezwungen werden, ihre ungewollten Babys zu behalten? Die gezwungen werden, das Resultat einer Vergewaltigung oder schwer geschädigte Embryonen zur Welt zu bringen?

Deshalb, sprecht mir nach: Der Körper einer Frau gehört ihr und ihr alleine! Es ist ihre Entscheidung, was sie mit diesem Körper anstellt und sie schuldet niemandem Rechenschaft!