Flockenfreude

Letzte Nacht hat es geschneit. Ein Phänomen, was mich früher kaltliess (pun intended), während ich in der Schweiz aufwuchs. Ich habe keine Freudensprünge vollführt, im Gegenteil. Musste ich mich jeden Winter mit dem Fahrrad ins Nachbardorf den Weg in die Schule erkämpfen, nur um völlig durchnässt anzukommen. Und auch später sorgten die weißen Flocken selten für Glücksgefühle, legten sie doch die öffentlichen Verkehrsmittel lahm, sobald sie auch nur die Straßen oder Schienen streiften. Und in der Stadt im Flachland – grauer Matsch in nullkommanichts.

Kokon des Wohnzimmers, Berlin

Doch nun, in Berlin, nach drei Wintern in Deutschland, erwarte ich keinen Schnee mehr. Und wenn er doch mal fällt, genieße ich die schönen Seiten daran. Wenn die Flocken vom Himmel fallen, bin ich wie hypnotisiert. Wie sie tanzen, schweben, fallen. Ich könnte minuten-, stundenlang zuschauen.

Beim Spaziergang in den Herzbergen, versuchte ich möglichst, mir da einen Weg durch den Wald zu bahnen, wo möglichst wenig los war. Was nicht ganz einfach ist, wenn man bedenkt, dass wir mitten in Berlin sind. Aber auf dem Friedhof, auf ein paar Nebenwegen, fand ich, wonach ich suchte: Die Stille des Schnees. Diese gedämpfte Stille, die nur eine Schneedecke erzeugen kann. Und mit der Stille das Gefühl, ganz alleine auf dieser Welt zu sein. Nicht das mittlerweile allzu bekannte Gefühl von Einsamkeit sondern vom Alleinsein. Und in dem Moment, als ich die schneidende Luft einatmete und nur noch meinen Atem und weit entfernt ein paar Stimmen hörten, war ich wieder mal so sehr bei mir, wie ich es schon lange nicht mehr war. Einfach nur ganz friedlich ich selbst. Um mich herum fiel Schneestaub von den Bäumen und als gerade ein paar Sonnenstrahlen durch die Äste schien, begannen sie zu funkeln, als fiel Kristallstaub vom Himmel.

Anna Sterns Roman „Schneestill“ im stillen Schnee.

Und genau dieses Gefühl der Stille bei Schnee vermittelt der erste Roman der Schweizer Buchpreisträgerin Anna Stern. Schneestill ist kein perfektes Buch, aber die Atmosphäre des verschneiten Paris ist grandios. Man fühlt sich, als wäre man alleine in einem Wald, der soeben eingeschneit wurde, eine Schneekugel von Paris oder ein gemütlicher Kokon von einem Wohnzimmer, aus dessen Fenster man auf fallenden Schnee schaut. Also das perfekte Buch für diese kalten Wintertage.