Infanzia Ticinese

Vor kurzem bin ich über die Buch-Community auf Instagram zu einer Schreibgruppe gestoßen und ich schätze die Gespräche und konstruktive Kritik sehr. Den ersten Text, den ich zum Thema Kindheitserinnerung verfasst habe, hat mich selbst mal wieder in Nostalgie schwelgen lassen. Passend zum kurzen Essay über meine Erinnerungen an Sommer im Tessin, bin ich auf die Texte, Gedichte und Aquarelle von Hermann Hesse gestoßen.

„Tessin“ von Hermann Hesse

Und hier folgt nun mein eigener, bescheidener Versuch, meine Erinnerungen in Worte zu fassen:

Meine Schwestern und ich sitzen auf den Koffern, bereit für die fünfstündige Zugfahrt in den Süden. Unsere Großeltern sind bereits mit dem Auto vorgefahren. Es ist der Start der Sommerferien, dementsprechend sind die Züge voll. Ab Zürich sitzen wir wieder auf den Koffern im Gang, alles fährt in Süden. Durch die Fenster beobachte ich die übliche Transformation der Landschaft. Das flache Unterland lassen wir schon bald hinter uns, die Erde wirft immer höhere Wellen auf. Zuerst in wallenden Hügeln, zunehmend ersetzt durch schroffere, steilere Felswände. Als wir das erste Mal am Chileli von Wassen vorbeikommen, weiß ich, dass wir bald durchs Gotthard-Massiv fahren werden. Durch die Windungen und Kehrtunnel erhaschen wir davor aber noch unterschiedliche Blicke auf die Kirche. Nach den langen Minuten im Dunkel des Tunnels scheint es, als wären wir direkt in eine andere Welt gereist. Überall stehen die für die Region typischen Steinhäuser, Palmen wachsen, als hätten wir uns nach Italien teleportieren lassen.
Und ob es tatsächlich dieser Sommer, oder vielleicht doch ein, gar zwei Jahre später kann ich nicht mehr mit Gewissheit sagen. Das verschwimmt alles in meiner Erinnerung zu einem einzigen ungefähren Zeitraum meiner Kindheit. Die Tessiner Alpen um uns herum. Die vielen Spaziergänge, um die Esel der Nachbarn zu füttern oder den Bach zu stauen, der im Wald über den Pfad fließt. Das Gleißen des Origlio-Sees, wenn wir einen Ausflug dahin machen, oder die engen Gassen von Gandria nach der Überfahrt über den Lago di Lugano mit der Fähre, begleitet vom kindlichen Genuss eines Eis am Stiel. Dieser Teil meiner Kindheit schmeckt nach Fruchtzwergen, Vitello Tonnato und Polenta, nach selbstgepflückten Feigen und gesammelten und gerösteten Maronen. Er schmeckt auch nach der Elektrizität vor einem Sommergewitter und nach nasser, dampfender Natur nach Regen.
Hier tolle ich herum, falle in Brennnesseln, spiele Ronja Räubertochter. Hier kleckere ich mit Eis, hüpfe mit meinen Geschwistern auf dem Bett zu Manu Chao, lese im Schatten eines Regenschirms und lerne meine ersten italienischen Sätze – Grazie, Prego. Aber hier bin ich vor allem eins: Ich bin Kind.

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