Dieses seltsame Jahr hat mich mit meiner Herkunft konfrontiert, in unterschiedlichsten Weisen. Im März wurde ich zum ersten Mal von meiner Heimat abgeschottet, die Grenzen wurden dichtgemacht. Das ist ein ganz komisches, beklemmendes Gefühl. Und ich, eingepfercht, wie ich mich in meiner Ein-Zimmer-Wohnung in Horn in Hamburg fühlte, habe auf meinen Fluchtinstinkt gehorcht und mich in die Heimat – die Schweiz – geflüchtet. Ich war also wieder in meinem Elternhaus, nach zwei Jahren Selbständigkeit in Zürich und Hamburg. Ich fühlte mich aufgehoben und frei zugleich, mit viel Platz draußen und der Familie wieder so nah, wie schon lange nicht mehr.

Im Juli fuhr ich in die Berge und merkte, wie sehr mir die Topografie und auch das Wetter im Norden Deutschlands fehlt. Viel zu oft nur dunkelgrau und schläfrig. Schnee und Berge, wie war es möglich, dass ich die beiden Dinge vermissen kann? Ich, die so selten an die Berge dachte und den Schnee im Unterland hasste, da er sich immer direkt in Matsch verwandelt und den öffentlichen Verkehr lahmlegt? Auch verbrachte ich wunderbare, laue Sommerabende mit guten Freunden – ausnahmsweise nicht vor einem Bildschirm, sondern in echt. Wie gut das tat, auch wenn es nicht von Dauer war.
Und nachdem ich Heiligabend alleine in Berlin verbracht habe, kann ich aus voller Überzeugung sagen: Raclette for one ist so ungefähr das Deprimierendste, was es gibt. Zusammen mit einsamen älteren Herren in Edeka Weihnachtsspots, der Aussetzung von Disney’s Capper im Wald und Dumbledores Tod bei Harry Potter.
Ich habe mich aber auch literarisch mit meiner Heimat auseinandergesetzt. Ich habe so viel Schweizer Literatur gelesen, Musik gehört und mich mit unserem Dialekt auseinandergesetzt, wie schon seit langem nicht. Vielleicht braucht es auch den Abstand, um etwas unvoreingenommener auf die eigene Heimat und ihre Eigenheiten blicken zu können. Jedenfalls haben mich vor allem zwei junge Schweizer Autorinnen beeindruckt. Und zwar: Simone Lappert und Anna Stern. Was die Romane alle gemeinsam haben: Es spielt sich Vieles nur im Inneren der Charaktere ab und bedarf deshalb auch gar nicht so viel der Handlung. Vielleicht ist es das, was die Romane so kontemporär wirken lässt – auch wir können aktuell keine weiten Distanzen zurücklegen und setzten uns dieses Jahr wahrscheinlich öfter als gewohnt mit uns selber auseinander.
In ihrem ersten Roman Wurfschatten beschreibt Simone Lappert das Leben von Ada, kurz für Adamine, eine junge Theaterschauspielerin, die von Ängsten oftmals komplett gelähmt ist und die einfachsten Alltagsaufgaben mehr bewältigen kann. Als Juri, der Enkel ihres Vermieters, in ihr Leben und in ihre Wohnung tritt, versucht sie ihn zu Beginn mit aller Kraft auf direktestem Weg wieder aus ihrer Wohnung zu vertreiben. Auch er ist emotional etwas angeschlagen und so finden die beiden nach und nach Trost beieinander.
Mit wunderschöner Prosa beschreibt Simone Lappert, das Leben mit Angstzuständen und wie zwei psychisch verletzte Menschen versuchen können, sich gegenseitig zu heilen, wenn nur das Vertrauen zueinander erstmal geschaffen ist.

Die Gewinnerin des diesjährigen Schweizer Buchpreises, Anna Stern erzählt in ihrem preisgekrönten Werk das alles hier, jetzt von einer jungen Clique, die ihre Freundin Ananke verloren haben und um sie trauern – jede*r auf ihre/seine Weise. Abwechselnd werden dem Leser Kindheitserinnerungen und Tagesaktuelles vor Augen geführt, bis sich die die Clique dazu entscheidet einen Roadtrip zu unternehmen.
Gekonnt lässt die Autorin den Leser die Melancholie der Trauer und die Nostalgie der Kindertage dieses Freundeskreises spüren.
Ich bin patriotisch,
Sophie Hunger auf dem Track „Putsch“
d Schwiiz isch mer heilig,
gnau so wie sMami für sChind.
Passend zur allgemeinen Stimmung haben Dino Brandão, Faber und Sophie Hunger ein wunderbares Album über die Liebe herausgegeben: Ich Liebe Dich. Ich glaube, es ist nicht vermessen zu behaupten, dass sich alle mehr Nähe, mehr Liebe wünschen oder gewünscht haben dieses Jahr. Auch hier bedarf die Musik nicht der ausgefallensten Instrumentals, sondern konzentriert sich auf die drei Stimmen und wenig mehr. Was mich, abgesehen von der unglaublichen Emotionalität, die jeder einzelne Song ausstrahlt, am meisten beeindruckt, sind die smarten Texte in Dialekt. Davon inspiriert, habe ich versucht etwas über Heimat zu schreiben im Dialekt.
Heimat
Nüme det und nani da.
Abgreist und nani acho.
Es Zwüscheduredingsda.
Rastlos dini Füess, immer in Bewegig.
Rastlos dini Gedanke, ohni Wurzle.
Rastlos din Blick, ständig schweift er ab.
Bisch nonig aacho?
Ischs nur naml e Station?
Wie en Zugvogel uf de Reis in Süde?
Rastlos dini Füess, immer in Bewegig.
Rastlos dini Gedanke, ohni Wurzle.
Rastlos din Blick, ständig schweift er ab.
Wiiter vorwärts oder doch wider zrugg?
Was mol dis Dihei gsi isch hät sich i dinere Abweseheit veränderet.
Es isch nüm de Ort, wod mol kännt häsch.
Es sind nüm dLüüt, wod mit ne uufgwachse bisch.
Und s neue Dihei fühlt sich nani richtig aa,
als wärs e Nummere zgross für dich,
und du nani ganz driigwachse.
Nüme det und nani da.
Abgreist und nani acho.
SLäbe als Zwüscheduredingsda.
Wänn simmer ändli da?