Hamburg la vista, Baby! Nach zwei Jahren in der Hansestadt heißt es für mich ab nach Berlin. Vor knapp zwei Monaten habe ich meine kleine Einzimmerwohnung in Horn zusammengepackt, in einen Transporter verfrachtet und alles nach Lichtenberg in Berlin gekarrt. Rückblickend habe ich in Horn zwei Jahre lang in einem Provisorium gewohnt. Unterbewusst wusste ich wohl, dass ich nicht bleiben würde, die Kisten waren nie komplett ausgepackt.
Lektüre vor einem Lichtenberger Plattenbau.
Dank einer gewissen Miss Rona ist es leider zurzeit nicht ganz einfach, die Stadt zu erkunden. Im Sommer hatte ich mir noch ausgemalt, wie ich durch Buchhandlungen und Cafés streifen und in Parks unter Bäumen lesen und picknicken würde. Jetzt, Ende Oktober, ist es für die Parks etwas frisch und für Restaurants, Cafés und Öffis nicht der richtige Zeitpunkt. Deshalb streunere ich möglichst viel zu Fuß herum und nehme meine Kamera mit auf meine Runden, um meine Umgebung nochmal aus einer anderen, fokussierten Perspektive aufzunehmen.
Passend zu meiner neuen Wahlheimat, habe ich mich an “Herr Lehmann” erinnert. Den Roman hat mir vor Jahren meine Tante geschenkt und damals fand ich den zwar ganz nett, aber die Hauptfigur Frank Lehmann etwas prollig und einen Hauch zu unsympathisch und zynisch, die Handlung verschwurbelt. Fünf Jahre sind aber eine lang Zeit und jetzt, wo ich in Herr Lehmanns Alter bin, kann ich ihn ziemlich gut verstehen. Noch nicht ganz sein weibliches Ebenbild, aber nicht mehr allzu weit entfernt.
„Es ist Scheiße, 30 Jahre alt zu werden, ging es ihm durch den Kopf, man beginnt eine Vergangenheit zu haben, eine gute alte Zeit und den ganzen Scheiß.“
Herr Lehmann von Sven Regener
„Herr Lehmann“ von Sven Regener in Berlin.
Der Wahl-Kreuzberger Frank Lehmann arbeitet in einer Kneipe im West-Berlin des Jahres 1989 und kommt so über die Runden. Nachts schenkt er Kiezvögeln Kristall-Weizen ohne Zitrone aus und stellt Kiffer vor die Tür. Jetzt, wo er auf die dreißig zugeht, fragen ihn plötzlich alle, was er noch mit seinem Leben anfangen soll. Da lernt er die Köchin Katrin kennen und verliebt sich in sie, weil sie so gut streiten können. Mit ihr und dem Über-die-Runden-kommen hat er auch alle Hände voll zu tun, als auch noch seine Eltern aus Bremen zu Besuch kommen und die Mauer fällt.
Herr Lehmann and me
Hamburg la vista, Baby! After two years in this Hanseatic City I’m off to Berlin. Nearly two months ago, I packed up my single bedroom flat into a transporter and drove it off to Lichtenberg, Berlin. In hindsight, I have lived in Horn in a temporary solution for two years. Subconsciously, I must have known that I wouldn’t stay forever – the boxes had never been unpacked completely.
Thanks to a certain miss Rona it isn’t too easy currently to discover the city. In summer, I had pictured myself strolling through bookshops, sitting in cafés sipping flat whites and picnicking and reading in parks under the trees. Now, at the end of October, it’s a little chilly for parks and restaurants, cafés and public transportation are just no fun right now. This is why I am roaming around on foot as much as possible, taking along my camera to get new perspectives and focus on my environment more intensely.
Strolling through Lichtenberg.
My adopted home made me think of “Berlin Blues”. Years ago, my aunt gifted me this novel and at the time I thought it was fine, but the main character Frank Lehmann was a bit rough and a tad cynical and unpleasant, the storyline a little nonsensical at times. Five years are quite a long time though and now, as I am approaching Herr Lehmanns age myself, I totally get him. I wouldn’t say I am his female counterpart but I am fast approaching.
TV tower in Berlin
The Kreuzberger by choice, Frank Lehmann, works in a watering hole in west Berlin in 1989 and is just getting by. At night, he pours Kristall wheat beer without lemon for odd fish and bounces potheads. Now, as he is approaching his 30th birthday, people suddenly want to know what he has planned for the rest of his life. He meets the cook Katrin and falls in love with her, because they are so good at fighting. He has all hands full with her and is trying to make ends meet. And as that isn’t enough, his parents announce their visit from Bremen and the Berlin Wall falls.
Es ist kein Geheimnis, dass ich Frankreich liebe. Seit meinem allerersten Paris-Trip habe ich mich in dieses Land und seine Kultur verliebt. Nach meiner ersten Vernarrtheit mit Paris, folgte ein 6-monatiger Aufenthalt in Biarritz. Hier lernte ich die baskische Kultur kennen und verfiel dem Surfer-Lifestyle. Und diese Liebe wiederum führte zu einem Sommer als Rezeptionistin auf einem Campingplatz in Moliets-et-Mâa. Insbesondere die beiden Aufenthalte in Biarritz und Moliets haben mich stark geprägt und tatsächlich ist mir bei der erneuten Lektüre von Ernest Hemingways „Fiesta“ aufgefallen, wieviele Parallelen zu einer Sommer-Saison oder einem Sprachaufenthalt tatsächlich bestehen.
Ernest Hemingway – Fiesta: The Sun Also Rises
Es handelt sich um eine Gruppe Freunde, die von Paris aus gemeinsam ins spanische Baskenland fahren, um dort zu fischen. Heutzutage würde man wohl eher – anstatt in die Pyrenäen – zum Strand fahren um zu surfen, aber die Sportart gab es damals noch nicht. Sie genießen die Zeit in der Natur mit einer (oder mehreren) Flaschen Weißwein. Das klingt alles sehr bekannt, als wär’s erst ein paar Jahre her.
Ich, nach einem guten Surf.
Danach fährt die Gruppe Freunde zur Fiesta de San Fermín nach Pamplona. Die Fiesta ist eines der größten Straßenfeste der Welt, ebenso die Fêtes de Bayonne. Ich hatte das Glück, bereits an beiden dabei sein zu dürfen. Die ganze Stadt kleidet sich in weiß, mit einem roten Foulard um den Hals und rotem Schal um die Hüfte. Es ist ein ziemlich surreales, außergewöhnliches Bild und ich bin verwundert, dass wir nie jemanden verloren haben. Ganze Tage und Nächte in Weinkellern, voller Sangría und Bier. Durchtanzte Nächte, warme Sommernächte. Es ist Spaß pur. Aber natürlich darf auch das Drama nicht fehlen. Denn welche gute Party wäre komplett, ohne gutes, olles Drama zwischen Mann und Frau? Genauso ist es auch bei Hemingway.
Und genau diese Parallelen und die altbekannten Orte habe ich bei zweiter Lektüre so geliebt. Es fühlte sich wirklich an, als würde ich einen Bericht über eine Gruppe Freunde in einem Surfcamp oder so lesen. Und das hat die schönsten Erinnerungen an meine Zeit in Frankreich wachgerufen.
Baguettes in Biarritz
It is no mystery, that I am a francophile. Since my first visit to Paris, I have fallen in love with this country and its culture. After my first infatuation with Paris, there followed a 6 month long stay in Biarritz to finally learn the language correctly. Here I learned to love the basque culture and fell for the surfer lifestyle. Finally, this love got me to take a summer job as a receptionist on a campsite in Moliets-et-Mâa. Especially my stays on the Atlantic coast have influenced me greatly and I discovered many parallels to working a summer season or a language stay in Ernest Hemingways „Fiesta: The Sun Also Rises“ while rereading.
It’s about a group of friends who travel from Paris to the Spanish Basque Country and go fishing. Nowadays they’d probably – rather than driving into the pyrenees – drive down to the beach and surf. They enjoy nature and drink one (or a couple) of bottles of white wine. This sounds pretty familiar, as if it’s been just a couple of years.
Rosé on the beach
„This wine is too good for toast-drinking, my dear. You don’t want to mix emotions up with a wine like that. You lose the taste.“
Count Mippipopolous in Fiesta: The Sun Also Rises
Then the group of friends continues on to the Fiesta de San Fermín in Pamplona. The Fiesta is one of the largest street festivals in the entire world, so is the Fêtes de Bayonne just across the boarder. I was lucky enough to have been able to attend both of them. The whole city dresses in white, with red accents like a beret, a foulard around the neck and a scarf around the hips. It’s a quite spectacular, surreal image and honestly, I am quite astounded, that we have never lost anyone. Whole nights in wine cellars, with loads of sangria and beer. Dancing through whole summer nights. It’s pure joy. But of course, it’s not a real party without some good old fashioned drama between a man and a woman, now would it? And that’s exactly what happens with Hemingway.
Ernest Hemingway – Fiesta: The Sun Also Rises
And it’s exactly these parallels and familiar places that made me fall in love even more with this novel rereading it. It really felt like a story of a group of friends spending their summer in a surfcamp. And this of course reminded me of my great memories of my time in France.
Aufgewachsen bin ich in der Buchhandlung meiner Großmutter und später war ich Stammkundin und glückliche Empfängerin von Büchern meiner Tante, die kürzlich ihre eigene Buchhandlung Doppelpunkt in Uster eröffnete und erste Erfolge feierte. Als es darum ging, einen Beruf auszuwählen, dauerte meine Suche nicht lange: Ich wollte Buchhändlerin werden, es lag mir sozusagen im Blut.
Ich, bei der Arbeit am Kundendienst bei Orell Füssli The Bookshop
Und auch heute noch fühle ich mich diesem ganz eigenen Volk stets verbunden. Diese sonderliche Spezies ist üblicherweise sehr belesen, klug und divers und doch findet man immer eine gemeinsame Grundlage. Buchhandlungen sind Oasen für mich, in die ich abtauchen kann. Dort steht die Zeit still und der Alltagsstress bleibt an der Türschwelle stehen. Nach wie vor lasse ich mich gerne von Buchhändler*innen beraten und entdecke Titel für mich, die ich ansonsten vielleicht nie in die Hand genommen hätte. Es ist wunderbar, seine eigene Stamm-Buchhandlung für sich zu entdecken. Noch wunderbarer ist es allerdings, seine*n Buchhändler*in des Vertrauens zu haben, der/die den eigenen Geschmack kennt und dem/der man blindlings dessen Empfehlungen vertrauen kann. Deshalb möchte ich einige meiner liebsten Buchhändler*innen des Vertrauens und deren Buchtipps vorstellen. Und ich möchte meine Leser*innen daran erinnern: Unterstützt eure lokalen Buchhändler!
Tahina und Tipps von Schira N.
Mit Schira N. habe ich zwei Jahre lang im Bookshop in Zürich gearbeitet. Sie ist passionierte Buchhändlerin und ich kann sie mir in keinem anderen Beruf vorstellen. Mit ihr fuhr ich zum ersten (und zweiten) Mal nach Israel und durfte ihre Kultur und Familie kennen lernen. Sie war es auch immer, die mir Graphic Novel unterschiedlichster Autoren ans Herz legte und mich schliesslich auch tatsächlich dazu brachte, das Genre für mich zu entdecken.
Schira N. versucht sich für nur ein Buch zu entscheiden.
Ich verabrede mich mit ihr, trotz ihrer Migräne, nach der Arbeit bei ihr zu Hause und wir schnippeln gemeinsam frischen gemischten Salat mit Tahini-Dressing – natürlich das beste Pigeon-Tahini direkt aus Tel Aviv importiert. Als sie vor ihrem Bücherregal steht und versucht, einen Titel auszuwählen, ist sie unschlüssig. Patrick Ness, Paul Auster oder doch Etgar Keret? Schlussendlich entscheidet sie sich – wie könnte es anders sein – für einen Graphic Novel: Präludien und Notturni, den ersten Band aus der Sandman Serie von Neil Gaiman.
Was mir so an Neil Gaiman und dieser Serie gefällt ist, dass es einerseit so märchenhaft ist, sehr düster, er nutzt sehr viele Popkultur-Referenzen, aber gleichzeitig ist es auch poetisch, tiefgründig und spannend. Er pickt Figuren aus Literatur, Religion und Geschichte und webt sie gekonnt in die Handlungsstränge ein. Es ist magisch. Es ist die perfekte Mischung aus Spaß und Tiefe.
Schira N., Buchhändlerin
Bücher und Brunch mit Jesper R.
Als ich an einem heißen Sommertag bei Jesper R. auf der Matte stehe, öffnet er mir etwas verschlafen die Wohnungstür. Für den Brunch steht noch nichts bereit, aber das macht nichts. Beim Einkauf bringt er mich auf den neuesten Stand in seinem Leben. Auch wir haben nach der Ausbildung zusammen im Bookshop gearbeitet und kennen uns dementsprechend gut. Lustige Erlebnisse an Büchertischen für Lesungen oder die freiwillige Mithilfe beim Shop für das Animationsfilmfestival Fantoche in Baden (AG/CH) haben uns dick zusammengeschweißt und wir verstehen uns oft auch ohne Worte, was anderen Freunden oder Mitarbeitenden manchmal auch ganz schön auf den Keks gehen kann.
Jesper R. empfiehlt „Das Haus der Stufen“ von Barbara Vine
Wir packen die Lebensmittel und einige Decken ein und machen es uns im Park auf der gegenüberliegenden Straßenseite gemütlich. Nach einem kurzen Nickerchen und dem zweiten Kaffee ist Jesper dann soweit und erzählt mir von Barbara Vines Psycho-ThrillerDas Haus der Stufen. Lustigerweise hatte ihm eine weitere Buchhändlerin den Thriller in die Hand gedrückt, da es eines ihrer Lieblingsbücher ist.
Es ist ein düsterer, dunkler, psychologischer Thriller und geht gegen Ende sogar richtung Wahnsinn. Es ist einer der ersten Romane, der das Thema Homosexualität bei Frauen anspricht, was ich sehr wichtig finde. Das war zum Zeitpunkt des Erscheinen des Buches sehr schockierend, auch wenn die Frauenbeziehungen sehr subtil dargestellt werden. Barbara Vine schafft es durch Flashbacks und Foreshadowing einen super spannenden Narrativ zu erzeugen. Es ist auch sehr überdramatisch – was ich ja liebe. Dieser Thriller ist also perfekt für Fans von „Sturmhöhe” und sogar der „Twilight”-Serie.
Jesper R., ehemaliger Buchhändler
My booksellers of confidence – pt. I
Me as a bookseller, doing normal bookselling things.
Growing up, my grandmother owned a bookshop and later on I enjoyed being on the receiving end of my aunt’s love for books (also a bookseller). She has since opened up her very own shop and has celebrated first successes with it. When the time came to choose a profession, I didn’t hesitate too long: I wanted to become a bookseller, it was basically in my blood.
And to this day I feel a connection to the tribe of the booksellers. These well-read and smart creature are diverse, yet usually still find common ground. Bookstores are oasis for me to delve into. Here time stands still and I can leave the stress of everyday life at the threshold. I always enjoy a bookseller recommending books to me that I wouldn’t have picked up otherwise. It is great to discover a new favorite bookshop, but it is even greater to have a bookseller of confidence, who knows your taste in novels and whom you can trust blindly concerning all things literary. This is why I’d like to introduce a couple of my favorite booksellers and their reading recommendations. Also, I’d like to remind you: Support your local bookseller!
Tahini and tips from Schira N.
Schira N.’s pick: Neil Gaiman – The Sandman: Preludes and Nocturnes
I worked with Schira N. for two years at the Bookshop in Zurich. She is a very passionate bookseller and I can’t picture her in any other profession. She also was my travel buddy for my first (and second) trip to Israel, where she introduced me to her culture and family. It was her, who warmly recommended I read graphic novels and made me discover and love this whole genre.
I meet up with her after work at her place, despite her migraine. We dice vegetables in her kitchen for a delicious summer salad with a tahini dressing – the best Pigeon tahini imported directly from Tel Aviv of course. Standing in front of her bookshelf, she has a hard time deciding. Patrick Ness, Paul Auster or rather Etgar Keret? In the end she picks a graphic novel – what else? It is Preludes and Nocturnes, the first volume of The Sandman series from Neil Gaiman.
What I like about Neil Gaiman and this series of his is, that it is enchanted, very dark, his use of pop culture references and at the same time it is poetic, deep and captivating. He takes characters from literature, religion and history and weaves them into the storylines. It’s magical. It’s the perfect mix of fun and depth.
Schira N., bookseller
Brunch and books with Jesper R.
Jesper R. with a selection of his personal library.
As I show up on Jesper R.’s doorstep on a hot summer day, he is still slightly sleepy. Nothing is ready for our brunch yet, but that’s ok. While we are grocery shopping we catch up on each other’s lives. We were apprentices together and we too have worked together at the Bookshop, so we know each other pretty well, some might say too well. Fun experiences, such as organizing book tables for readings or helping with the merch shop at the animation film festival Fantoche in Baden (AG/CH) have further brought us together. We sometimes understand one another nonverbally, which can get on co-workers‘ and friends‘ nerves most definitely.
We pack up the food and some blankets and head to the park across the street. After a hearty meal, a good nap and a second cup of coffee, Jesper is ready to talk about his recommendation: The House of Stairs by Barbara Vine.
It’s a somber, dark, psychological thriller and even goes in the direction of insanity towards the end. This is one of the first novels to tackle the topic of lesbianism, which I find really important. At the time of the publication it was shocking, even though the relationship of the women is portrayed quite subtly. Barbara Vine manages to create a super captivating narrative with flashbacks and foreshadowing. It’s so over-dramatic – which I love. So, this thriller is perfect for fans of „Wuthering Hights“ and even the „Twilight“ series.
Wie außergewöhnlich Berge doch sind. Aber wie außergewöhnlich sie tatsächlich sind wurde mir erst bewusst, als ich nach Hamburg und somit in die flachste Landschaft, die ich je gesehen habe, zog. Jedes Jahr nehme ich mir vor, öfter in die Berge zu fahren – denn wandern und snowboarden machen mir eigentlich total Spass. Ich kann komplett abschalten und das stressige Alltagsleben zu Hause liegen lassen. Dieses Unterfangen scheitert oftmals an meinem Willen, früh aus dem Bett zu kommen. Außerdem, da ich nun in Hamburg lebe, ist es nicht gerade einfacher geworden, Berge ausfindig zu machen. Vergangenes Wochenende habe ich es aber wieder mal geschafft.
Berge – mystische Riesen der Natur.
Im Sommer in den Schulferien, durfte ich mit der Familie einer Schulfreundin zu ihrer kleinen Hütte inmitten der Berge mitfahren, ausschliesslich umgeben vom Geruch wilden Thymians und den Pfiffen der Murmeltiere. Auch heute fahre ich, wenn immer möglich, mit ihr mit. Dabei ist schon die Fahrt in die Berge faszinierend für mich. Die Reise beginnt in den sanften Hügeln des Unterlandes. Diese Hügel wachsen blitzschnell weiter und weiter, bis sich zu beiden Seiten steile, ehrerbietige Felswände aufragen. Je höher man sich hochschlängelt, desto weiter lässt man die Baumgrenze hinter sich zurückfallen. Auf dem Pass selbst ist immer viel los. Motorradfahrer und Autoreisende machen hier Halt, essen eine Bratwurst oder kehren ins Restaurant ein. Von hier ist es nur noch eine kurze Fahrt. Eine kleine Strasse entlang. Sie windet und krümmt sich vor einem, links und rechts liegt nun nichts mehr als steile Bergwiesen. Manchmal rennt ein Murmeltier über die Straße. Unterhalb der Staumauer kommt schliesslich die kleine Hütte zum Vorschein.
Berge verströmen eine gewisse mystische Nostalgie. Schroff und dunkel ragt das Gestein in den Himmel, oft umweht von Wolkenfetzen. Hier streift man die Schnelllebigkeit des modernen, urbanen Lebens mit dem ersten Atemzug der kühlen, würzigen Bergluft ab wie eine Jacke. Hier lässt man sich von der Natur treiben und leiten. Hier lebt man durch die Einsamkeit in der gewaltigen Natur bewusster. Hier steht die Zeit still. Nein, dieser Ort ist zeitlos…und nachts, die Sterne so klar. Manchmal sieht man die Milchstraße. Vor den Himmel schieben sich dunkel die Berge. In der kühlen, klaren Alpenluft gebieten sie Ehrfurcht. Stumm und starr liegen sie dadurch scheinen sie wie grosse, schlummernde Lebewesen.
Thomas Willmann – Das finstere Tal
Diese Sentimentalität spürt man auch bei Thomas Willmanns Roman «Das finstere Tal». Hier spielen die Berge ebenfalls eine entscheidende Rolle, indem sie den Hintergrundund somit die Landschaft festlegen. Dadurch wird Bühne und Tonalität für die Handlung er-/geschaffen. Der Roman ist eine Mischung aus Western, Alpenroman und historischem Krimi und bringt somit alles für ein Action-geladenes Leseerlebnis mit erhöhter Pulsfrequenz mit sich.
The mountains and „The Dark Valley“
How extraordinary mountains are. But just how extraordinary they really are, I only realized when I moved to the flattest place I have ever been in my entire life – Hamburg. Every year I promise myself to go to the mountains more often. Because I do enjoy hiking and snowboarding, and I can completely disconnect with the busy, stressful everyday life. This endeavour is usually doomed by my lack of willingness to get out of bed early, though. Moreover, now that I live in Hamburg, it hasn’t exactly gotten easier to spot mountains close by. However, last weekend, I managed to go, and I thoroughly enjoyed the couple days of utter peace and tranquility.
Reading outside on a sunny day in the mountains is pure bliss.
In summer, when school was out, I was allowed to join the family of a school friend in their little hut in the mountains, surrounded by nothing but the smell of wild thyme and the sound of marmots whistling. As an adult, I still try to join her whenever possible. I already find the drive up into the mountains fascinating. You start in the rolling hills of the lowlands while the hills grow and grow rapidly into steep, awe-inspiring rock faces to either side. The higher you climb, the further you leave the tree line in the rearview mirror. The pass itself is always busy. Motorcyclists and car drivers stop here, eat a grilled sausage, have a smoke, take pictures or have a drink in the restaurant. From here, it’s only a short drive further on a small winding street. Left and right, there’s nothing except for alpine meadows, speckled with flowers in every color. Sometimes, a marmot scurries across the street. Just below the wall of the dam, the cabin comes into view.
Mountains emanate a certain mystical nostalgia. Rugged and the dark the mountain tops tower on the horizon, wisps of clouds hanging off of them. Here you slip out of the hectic pace of modern urban life like out of an old jacket with the first deep breath of crisp, fragrant air of alpine air. Here you can let yourself drift and let nature take over the helm. Here you live more consciously through the solitude in nature. Here all time stands still. No, this place is timeless. Moreover, in the nighttime, the stars shine so brightly. Sometimes you can see the Milky Way. The mountains lying there, dark against the night sky in the cool, clear alpine air, inspire awe. Silent and rigid, they sit there, and yet they seem like huge, sleeping beasts.
Iva and alpine thyme can be made into delicious tea.
The novel “Das finstere Tal” sadly has not been translated into English. So, if you are able to read it in German, I can only highly recommend it. You feel that oppressing sentimentality of the mountains as a backdrop for the story. It is a mix of Western, Alpine, and historical crime novel. So, everything you need for an action fueled page-turner that will keep you on the edge of your seat and your pulse on a high frequency at all times.
Philippe Delerm ist ein Wort-Magier. Er verfügt über die Fähigkeit, mit wenigen Worten eine Szenerie so lebhaft vor das innere Auge zu zaubern. Es sind bekanntlich die kleinen Dinge im Leben, die kleinen Alltagsfreuden, die er in seinem Bändchen «La première gorgée de bière» („Der erste Schluck Bier“) beschreibt. Zum Grossteil sind es Momente, die wir alle kennen: Der erste Schluck eines kühlen Bieres an einem heissen Sommertag oder der süsse Geschmack wilder, reifer Brombeeren, die man am Wegesrand pflückt und sich direkt in den Mund steckt. Delerms Stil hat mich dazu inspiriert, eine Kurzgeschichte zu schreiben. Es gibt gewisse Gerüche und Geschmäcker, die einen direkt in die Vergangenheit teleportieren. Einer dieser Geschmäcker, der mich immer nach Italien verreisen lässt, egal wo ich gerade bin, ist der Geschmack von Aprikosensaft:
Aprikosen schmecken für mich nach mehr als nur nach Obst.
Für mich schmeckt Aprikosensaft wie ein italienischer Spätherbst. Nach Cornetti im Nachtzug, kurz vor der Ankunft in Bari. Nach gleissenden Tagen am Strand, das Wasser lau und träge. Wir sind vielleicht vierzehn und wünschen uns nichts sehnlicher als die erste Liebe. Es ist die Zeit der heimlichen Schwärmereien. Harmlosen Schwärmereien. Es ist die Zeit, in der sich unsere Körper gerade verändern und wir entdecken unsere Sexualität. Kleine Brüste in den ersten nicht mehr ganz so kindlichen Bikinis. Wir sind keine Mädchen mehr, aber mit Sicherheit auch noch keine Frauen. Das Lächeln des süssen Italieners hinter der Theke der Gelateria, in der wir uns täglich unsere Portion Pfefferminz-Eis holen, lässt uns erröten und kichernd die Eisdiele verlassen. Die Serviette dieses Eises wird sorgfältig aufbewahrt und ins Tagebuch eingeklebt.
In der Ferienwohnung in diesem süditalienischen Städtchen werden im Zimmer direkt nach Ankunft erstmal alle Kreuze und Heiligenbilder abgehängt. Zu viel Katholizismus für westliche Teenies. Die heilige Jungfrau hat in unserem kleinen Reich nichts zu suchen. Nachmittags, nach der Rückkehr vom Strand, nach dem wir den mitgeschleppten Sand grosszügig in der ganzen Wohnung verteilt haben, liegen wir abwechslungsweise auf dem Sofa und sehen uns Scooby Doo auf italienisch an, während die andere duscht, sich das Salz, den Sand und den Schweiss vom Körper spült. Wir daddeln auf unseren Tastentelefonen herum, schreiben Freundinnen. Oder vielleicht einem Schwarm. Wir schreiben unsere kindlichen Einträge in Tagebücher. Sie ist da akribischer als ich. Wir schreiben Postkarten. Tonnenweise. Fassen das Erlebte in kurze Sätze.
Succo die albicocca – Aprikosensaft – schmeckt für mich deshalb nicht nur nach Fruchtnektar. Sondern nach Unbeschwertheit, nach Sonne und Strand. Nach La dolce vita und einer tiefen Freundschaft.
Wenn ich es geschafft habe, euch für einen Moment nach Süditalien zu entführen, überlegt nur, was ein Autor mit wesentlich mehr Übung mit eurer Vorstellung anstellen kann. Macht euch bereit auf Zeitreisen in die kleinen Momente des Alltags, der Kindheit, der Vergangenheit. So lebendig, als hättet ihr die Momente erst gestern erlebt.
Lesen lässt uns oft in Erinnerungen eintauchen.
Joy and Juice
Philippe Delerm is a magician with words. He has the ability to describe a scenery so vividly with little words. It’s the small things in life, the little everyday pleasures that make living worthwhile. And in his short volume «La première gorgée de bière» („The Small Pleasures of Life“) he describes these moments wonderfully: The first sip of a cool beer on a hot summer’s day or the sweet taste of wild, ripe blackberries that you find on the side of the road and shove into your mouth directly. Delerms style of prose got me inspired to write a short piece. Some certain scents and tastes can transport you directly into a moment in the past. One of these tastes is apricot juice for me. It allows me to travel to the South of Italy in a heartbeat and wherever I am.
Reading is like diving into a memory.
For me, apricot juice tastes like late fall in Italy. Like cornetti in a night train, shortly before arriving in Bari. Like glinting days at the beach, the water lazy as we are. We are around fourteen and wish for nothing more than our first love. It’s the time of secret crushes, innocent crushes. Our bodies are changing, and we are discovering our sexuality. Small breasts in our first not so innocent bikinis. We are no girls anymore, but certainly no women yet either. The smile of the cute Italian behind the counter at the gelateria where we get our daily dose of peppermint ice cream sends us out the door, blushing and giggling. The napkin is carefully kept as a token and later glued into the diary.
In the rented holiday flat in this small town of Southern Italy, the crosses and the images of saints are taken down immediately after our arrival. Too much catholicism for western teenies. The Virgin Mary does not belong in our small sanctuary. In the afternoon, after our return from the beach, having generously spread the sand all over the apartment we take turns lounging on the sofa and watching Scooby-Doo in Italian, while the other is taking a shower. Washing off all the salt, sand, and sweat from our bodies. We play around on our phones, texting girlfriends, or maybe a crush. We write our childish entries in diaries. She is way more thorough than I am. And we write postcards, loads of them. Putting all of the experiences into short sentences for the ones left behind at home.
Succo di albicocca – apricot juice – does not only taste like fruit nectar to me. But of lightheartedness, of the warm sun on bare skin and the beach, of La dolce vita and a deep friendship.
Apricots taste like more than just fruit to me.
If I managed to kidnap you to Southern Italy for a second, just think what an experienced author can do with your imagination. Get ready for a time travel to the small moments of everyday lives, childhood and the past. So lively as if you experienced it yesterday.
Philippe Delerm – La première gorgée de bière (Der erste Schluck Bier / The Small Pleasures of Life)